(Vortrag im Collegium Budapest, 30 Mai 2005)
Die Altertumswissenschaft, also die Art und Weise, wie die antike Tradition wissenschaftlich erschlossen, erforscht und weitergegeben wird, läßt sich vielleicht mit einem Reich vergleichen, das vor drei, vier Generationen, auf dem Gipfel seiner geistigen Bedeutung einheitlich anmutete, dessen einstige Teilrepubliken jedoch bis in unsere Tage in immer kleinere Nachfolgestaaten zerbröckeln. Die Nachfolge-Wissenschaften weisen dennoch gemeinsame Merkmale auf, da sie in einem wesentlichen Punkt weiterhin miteinander verbunden sind: Sie zeigen einhellig, nach der Art der Wissenschaft auf, was in unseren Tagen von der klassischen Antike aktuell ist. Welche Bedeutung dieser Frage in unserer - sehr zutreffend - posthumanistisch genannten Zeit zukommt, braucht wohl hier kaum näher erörtert zu werden.
Ein augenfälliger gemeinsamer Zug besteht in der Selbstreflexion. Das Aufblühen der Forschungen zur Geschichte der klassischen Archäologie in unseren Tagen läßt sich nur teilweise auf die indifferenten Forschungsmotivationen des Wissenschaftsbetriebs, die Themennot oder die wissenschaftliche Überproduktion zurückführen, es rührt offensichtlich auch von realen geistigen Ansprüchen her. Diese Forschungen haben im allgemeinen ein zweifaches Ziel. Einerseits sind sie darauf ausgerichtet, das Verhältnis der jeweiligen Gegenwart zur Antike in seinem historischen Wandel zu erfassen. Nicht minder wichtig ist aber auch der andere Aspekt: nachzuweisen, welche Vergangenheit sich die jeweilige Gegenwart aussuchte, wie sie die Antike betrachtete, also wie sie die Antike, die sie als ihre Vorläuferin anerkannte, für sich erschuf.
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Die Ausstellung der Budapester Antikensammlung (1997)
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Die Ausstellung der Budapester Antikensammlung (1997)
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Unter diesem Aspekt scheint die Geschichte der klassischen Archäologie Ungarns der Untersuchung wert zu sein. Und zwar nicht nur als eine bloße Chronik, eine Art geistige Heimatgeschichte, die nur die Betroffenen angeht, sondern als eine Stimme von eigenständiger Klangfarbe in einem internationalen Konzert; dabei stellt sich heraus, was die Kunst der klassischen Antike als eine der gemeinsamen Traditionen Europas in Ungarn von Zeit zu Zeit bedeutete. Diese Frage ist aber nicht zu trennen von der Geschichte einer Abteilung eines ungarischen Museums, von der Antikensammlung des Museums der Bildenden Künste von Budapest. Diese Antikensammlung ist die einzige öffentliche Sammlung antiker Kunst in Ungarn, ihre Geschichte steht also von vornherein im Brennpunkt des Themas. Darüber hinaus ist es die einzige umfassende Sammlung in der ostmitteleuropäischen Region, zwischen Wien und Sanktpetersburg - der Akzent dieser Behauptung liegt nicht auf der Menge der Kunstwerke, die im Gebiet der einzelnen Staaten bewahrt werden, sondern auf dem umfassenden Charakter der Sammlung. So betrachtet läßt sich die Frage nach der Geschichte der Sammlung sofort auch in einem weiteren Kontext aufwerfen, wodurch die Antwort auch für einen der regionalen Wege der europäischen Antikenrezeption aufschlußreich wird. In meinem Vortrag möchte ich das Schicksal der Budapester Antikensammlung im Überblick verfolgen, wobei ich unter den möglichen Aspekten hauptsächlich darauf eingehen möchte, was die Sammlung in den einzelnen Perioden umfaßte und welche wissenschaftlichen Produktivitäten damit verbunden waren.
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Die Ausstellung der Budapester Antikensammlung (1997)
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Die Ausstellung der Budapester Antikensammlung (1997)
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Was die Vorgeschichte angeht, brannte ein Großteil Europas seit der Mitte des 18. Jahrhunderts bekanntlich im Fieber der Wiederentdeckung der antiken Kultur. Unter der Ägide des Klassizismus und der Grand Touren zu Denkmälern der Antike im Mittelmeerraum erfolgte der Ausbau der wissenschaftlichen Infrastruktur der klassischen Archäologie mit ihren drei Pfeilern: Zunächst wurden große Antikensammlungen in Museen errichtet (Louvre, 1793; Ausstellung des Parthenonfrieses im Britischen Museum, 1816 - um nur zwei bekannte Beispiele anzuführen); dann folgte die Einführung der klassischen Archäologie als Universitätsstudium (der erste Lehrstuhl wurde meines Wissens 1810 in Berlin eingerichtet); schließlich wurden die großen Forschungsinstitute gegründet, die auch seitdem die Erschließung der wichtigsten Fundstellen der griechisch-römischen Antike betreiben (der Vorgänger des Deutschen Archäologischen Instituts wurde 1829 gegründet).
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Die Budapester Exekias-Amphora. 540-530 v. Chr. MBK Antikensammlung, Inv. 50.189
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Ungarn wurde von alldem kaum berührt. Die aristokratischen Skulpturensammlungen zahlreicher europäischer Länder scheinen hier keine Entsprechung gehabt zu haben. In Ungarn, das seine territoriale Einheit und seine Unabhängigkeit zwei Jahrhunderte zuvor verloren hatte, jedoch deren Idee nie aufgab, hat sich das Sammeln von antiken Skulpturen im Kreis der Aristokratie nicht als eine geeignete Form der Selbstdarstellung erwiesen, ganz im Gegensatz zu Polen, das sich in vieler Hinsicht in einer ähnlichen Lage befand. Die Kunst der Antike ist auch im 19. Jahrhundert nur wenigen eine Leidenschaft geworden; unter diesen ist in erster Linie Gábor Fejérváry zu erwähnen, der sein Haus in einer Kleinstadt mit Abgüssen des Parthenonfrieses dekoriert hat, und dessen Sammlung - eine noch größere Seltenheit - auch in der nächsten Generation fortgeführt wurde, und zwar durch seinen Neffen Ferenc Pulszky, dessen Name zugleich für die erste Periode der Budapester Antikensammlung steht. Die schönsten Stücke ihrer Sammlung sind heute in München, London, Paris und Genf zu sehen, in Budapest sind nur einige wenige verblieben. Auch aus den anderen Privatsammlungen sind nur wenige in das Museum der Bildenden Künste gelangt.
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Gábor Fejérváry (Komlóskeresztes, 1780 - 1851 Pest)
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Ferenc Pulszky (Eperjes, 1814 - 1897 Budapest)
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Der Poseidon Loeb. Griechische Bronzestatuette, 4 Jh. v. Chr. München, Antikensammlungen, Inv. SL 15 (Aquarell, Liber Antiquitatis Nr. 19)
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Der Reiter aus Grumentum. Lucanische Bronzestatuette, 560-550 v. Chr. London, British Museum, Inv. GRA 1904.7-3.1 (Aquarell, Liber Antiquitatis Nr. 14)
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Aquarell, Liber Antiquitatis Nr. 18
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MBK Antikensammlung, Inv. 56.11.A
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Pars pro toto: Terrakotta Silen-Medaillon aus Rionero. 350-300 v. Chr. MBK Antikensammlung, Inv. 75.69.A
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Die bedeutendste ungarische Entsprechung zu den großen archäologischen Erschließungen war die Ausgrabung eines Offiziers der Armee Garibaldis namens Izidor Mátyus im Jahr 1861 bei Rionero in Süditalien, die er in einer Pause der Kämpfe gegen die sogenannten Bergräuber, die briganti, durch seine Soldaten durchführen ließ und die ein Ensemble von 32 Inventarnummern einbrachte. Das Ziel des Ausgräbers ist aufschlußreich: Máttyus erhoffte sich davon pelasgische Objekte, weil er nach einer im damaligen Ungarn verbreiteten Auffassung die Pelasger für die Urahnen der Ungarn hielt. Seine Arbeit richtete sich also auf die Erschließung der Vergangenheit seiner eigenen Nation. Kulturelle Wallfahrten in das Mittelmeergebiet waren äußerst selten, von den wenigen sei hier eine ungarische Aristokratin, Polixéna Wesselényi erwähnt, deren in wunderbarem Stil verfaßter Bericht von ihrer italienischen Reise von 1835 keinen Widerhall fand; die mitgebrachten antiken Gegenstände sind im Lauf der Freiheitskämpfe von 1849 zugrunde gegangen.
Bereits hier wird ein maßgeblicher und auch im späteren oft wiederkehrender Zug unseres Themas offensichtlich. Die antike Kunst hat in Ungarn seit dem 18. Jahrhundert immer nur wenige Engagierte interessiert, meist wirklich nur einige Personen, ganz gleich ob es sich um Kunstsammeln oder um Forschung handelte - im letzteren Fall war der Kreis noch viel enger. Es handelt sich dabei wirklich um einen Grundzug, denn diese Lage ist noch für unsere Tage kennzeichnend. Obwohl in den anderthalb Jahrzehnten seit der Wende das Kunstsammeln in Ungarn in unglaublichen Maßen zugenommen hat, entstand keine einzige Privatsammlung antiker Kunst, und im Gegensatz zum allgemeinen westeuropäischen Überangebot an Fachleuten gibt es im Lande wohl keine zehn klassischen Archäologen.
Bis zum letzten Drittel des 19. Jahrhunderts hat sich die Lage Ungarns von Grund auf gewandelt. 1867 kam es zum Ausgleich mit Österreich, wodurch das Land keine besiegte, aufgeteilte Provinz mehr war, sondern die eine Hälfte eines zweipoligen Reichs, der Österreichisch-Ungarischen Monarchie, wie es fortan hieß, dessen beide, ansonsten unabhängige Teile allein durch den gemeinsamen Monarchen (Kaiser von Österreich und König von Ungarn in einer Person) sowie durch die gemeinsame Verteidigungs- und Außenpolitik verbunden waren. Ungarn konnte sich also nach einer peripeteia von dreieinhalb Jahrhunderten und kaum zwanzig Jahre nach der Niederlage des Freiheitskampfes - ungeachtet der großen inneren Spannungen, die das Land zur Katastrophe des Ersten Weltkrieges führen sollten - wie eine europäische Großmacht auf dem Weg der dynamischen Entwicklung fühlen. Die neue Rolle brachte neue Aufgaben mit sich: Zu jener Zeit wurde die Mehrzahl der Eliteinstitutionen der ungarischen Kultur errichtet (z. B. zwei Universitäten, die Oper, das Museum der Bildenden Künste und das Kunstgewerbemuseum); es war nur natürlich, daß auch das Verhältnis zur europäischen Tradition und somit auch zur antiken Kunst neu formuliert werden mußte. In dieser Atmosphäre entstand die Antikensammlung von Budapest.
Als Geburtsdatum der Antikensammlung gilt das Jahr 1908, als es zum Erwerb der Skulpturensammlung des Münchner Archäologen und Kunsthändlers Paul Arndt kam. Es lohnt sich jedoch, die Frage in einem weiteren Kontext zu untersuchen. Der Kauf von 1908 war nämlich keine creatio ex nihilo, sondern der Wendepunkt in einem längeren Prozeß.
Die erste Etappe, die Frühgeschichte der Antikensammlung bis 1908, ist - wiewohl indirekt - untrennbar mit dem bereits erwähnten Ferenc Pulszky, dem Begründer des ungarischen Museumswesens durch drei Fäden verbunden.
Was den ersten anbelangt, wurden in Ungarn 1873 zum erstenmal aus öffentlichen Geldern antike Kunstwerke erworben. Der zwanzigjährige Sohn von Ferenc Pulszky, Károly Pulszky, wurde offiziell damit beauftragt, für das zu gründende Kunstgewerbemuseum, als designierter Direktor auf der Wiener Weltausstellung - mit Hilfe des väterlichen Freundes Professor Johannes Overbeck - antike Kunstwerke zu kaufen. Man hatte sich das Ziel gesetzt, den ungarischen Handwerkern der Zeit Vorbilder der griechisch-römischen Kunst zu liefern. So kamen hauptsächlich korinthische Keramik aus den damaligen Ausgrabungen des Hera-Heiligtums von Cumae (aus der Sammlung Sayn-Wittgenstein) sowie ein Ensemble von bedeutenden athenischen und süditalischen Vasen nach Ungarn - wie wir später noch sehen werden, gelangte all das später in die Antikensammlung.
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Károly Pulszky (London, 1853 - 1899 Brisbane)
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Pars pro toto: Attische rotfigurige Pelike, Dionysos. Geras-Maler, 480-470 v. Chr. MBK Antikensammlung, Inv. 50.155
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Entwurf vom Heldenplatz, 1897-1898? (aus E. Gábor - M. Verő, Hrsg., Schikedanz Albert, 1996, 116)
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Entwurf des Museumsgebäudes, 1898 (aus E. Gábor - M. Verő, Hrsg., Schikedanz Albert, 1996, 181)
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Das Museum der Bildenden Künste, (aus E. Gábor - M. Verő, Hrsg., Schikedanz Albert,1996, 202)
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Der zweite Faden war die Gründung des Museums der Bildenden Künste selbst. Noch um die Mitte des 19. Jahrhunderts war aus Bürgerinitiativen eine Bewegung hervorgegangen, die für die Meisterwerke der ungarischen und europäischen Kunst ein Museum errichten wollte. Zur Gründung kam es schließlich 1896. Den Anlaß dazu gab die auf dieses Jahr gesetzte Tausendjahrfeier der ungarischen Landnahme, und das Museum wurde als hauptsächliches Denkmal des Millenniums betrachtet. Für das Museum waren drei Sammlungen (Skulptur, Malerei, Grafik) vorgesehen, wobei der antiken Kunst eine maßgebliche Rolle zugedacht wurde. Dies läßt sich auch an der Struktur des Gebäudes ermessen, die die Vorstellungen der Gründer, im wesentlichen des Kreises um Ferenc Pulszky, getreu widerspiegelt. Der Entwerfer, Albert Schickedanz, nahm nämlich von Anfang an, seit 1894, als das Vorhaben genaue Umrisse annahm, an der Erarbeitung der Konzeption teil, so daß seine Planvorstellungen bereits vor der Ausschreibung des Wettbewerbs für das Museum im großen und ganzen fertig waren. Sein Entwurf von 1898, der im wesentlichen mit dem ausgeführten Bau übereinstimmt, entstand ein gutes halbes Jahr vor dem Preisausschreiben. Schickedanz erlangte zwar nur den zweiten Preis, aber der designierte Museumsdirektor, Ernst von Kammerer, bestand darauf, seinen Plan auszuführen, weil nur dieser der Konzeption der Gründer entgegenkam. Schickedanz entwarf ein doppeltes Gebäude, einen Renaissancepalast und ein antikes Tempelensemble, was den damaligen beiden Hauptteilen der Sammlungen entsprach: Die Säle des aufgestockten Palastteils mit Seitenbeleuchtung waren für die Bildergalerie, die gewaltigen Hallen des Vorbaus, vorwiegend mit Oberlicht hingegen für die Abgüsse vorgesehen. Diese beiden Sammlungseinheiten teilten sich in mehr als zwei Dritteln des Grundrisses (der Rest genügte für die grafische Sammlung und - damals auch noch - für die Administration). Der Schwerpunkt der Gipssammlung lag auf den Kopien antiker Skulpturen - diese waren wiederum von Ferenc Pulszky, noch in der ersten Hälfte der siebziger Jahre, für das Nationalmuseum zusammengetragen worden; die Begründer des Museums der Bildenden Künste wollten nun dieses Ensemble durch weitere planmäßige Käufe und vereinzelt, ergänzungsweise, durch antike Originale weiter ausbauen.
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Entwurf des Museumsgebäudes, 1899 (aus E. Gábor - M. Verő, Hrsg., Schikedanz Albert, 1996, 184)
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Entwurf des Museumsgebäudes, 1899 (aus E. Gábor - M. Verő, Hrsg., Schikedanz Albert, 1996, 185)
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Entwurf der Bemalung eines Kabinetts der Gemäldegalerie. Aquarell (aus E. Gábor - M. Verő, Hrsg., Schikedanz Albert,1996, 199)
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Gipsabgüsse im Nationalmuseum
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Entwurf der Renaissance-Halle. Aquarell (aus E. Gábor - M. Verő, Hrsg., Schikedanz Albert,1996, 201)
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Gipsabgüsse in der Renaissance-Halle. (MBK Photoarchiv)
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MBK Antikensammlung, Inv. 2005.3.A
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Aquarell, Liber Antiquitatis Nr. 1
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MBK Antikensammlung, Inv. 56.11.A
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In der Gründungskonzeption des größten ungarischen Museums wurde also der Präsentation der antiken Kunst eine wichtige Rolle zugedacht. Wie in einem Parlamentsbericht des Kultusministers betont wurde, sollte das Museum europaweit dadurch hervorragen, daß es durch die gemeinsam ausgestellten Kopien der Hauptwerke aus den verschiedensten Museen der Welt ein umfassendes Bild von der antiken Skulptur bot. Die Budapester Antikensammlung bestand also in der ersten Periode ihrer Geschichte aus diesen Gipsabgüssen. Im Sinne der doppelten Zielsetzung wollte man eine umfassende Sammlung aufstellen, die die antike Kunst auf ihrem höchsten Niveau vertreten sollte, wobei kein Anspruch auf Originalität erhoben wurde. Der erwähnte Bericht des Ministers beschreibt die geplante Ausstellung der Geschichte der antiken Skulptur von Saal zu Saal, vom Alten Orient bis zur Spätantike, ohne Originalwerke zu erwähnen. Dabei gab es damals im Museum bereits einige antike Kunstwerke, die den dritten Bestandteil des Grundstocks der Sammlung bildeten, also den dritten Faden, durch den die Frühgeschichte der Antikensammlung mit Pulszky's Person verknüpft ist. Zwischen 1893 und 1895 tätigte nämlich Károly Pulszky, als designierter Direktor des Museums, großzügige Käufe in Italien. Der Akzent lag zwar auf der Malerei der Renaissance, aber er versuchte anscheinend auch antike Originale zu erwerben. An diesem Punkt erlangte der bereits erwähnte Grundzug der wissenschaftlichen Rezeption der antiken Kunst in Ungarn besondere Bedeutung: An der Jahrhundertwende gab es in Ungarn keinen einzigen Archäologen, der an der Gründung des Museums der Bildenden Künst hätte mitwirken können. Im Museum wurden bis 1895 unter elf Inventarnummern antike Stücke verzeichnet. Unter diesen halten wir heute nur drei für Originale. Fünf sind (seit Anfang des 20. Jahrhunderts) bis heute verschollen, ein weiteres Stück, die Nachbildung eines etruskischen Urnendeckels aus Blei mit Inschrift, wurde voriges Jahr wiedergefunden. Aufgrund der Beschreibungen im Inventar dürfte es sich auch bei den verschollenen Gegenständen überwiegend um nach-antike Stücke handeln. Laut Dokumentation wurde für ihren Erwerb eine ansehnliche Summe aufgewendet. Es ist also wahrscheinlich, daß Pulszky auch antike Stücke zu erwerben versuchte, nachdem er aber die Grenzen seiner Möglichkeiten richtig erkannt hatte, konzentrierte er sich eher auf die Denkmäler der Renaissancekunst. Eine Generation später hat ein klarsichtiger Kritiker die Lage folgendermaßen beurteilt: "Wir wissen, zum Sammeln antiker Originale wäre noch die Möglichkeit und die Zeit gegeben gewesen. Seitdem entstanden nämlich drei großartige Sammlungen der griechischen Kunst, die Antikenabteilungen des New Yorker und des Bostoner Museums und die Ny-Carlsberg-Glyptothek in Koppenhagen, um die kleineren Sammlungen und die Neuerwerbungen bereits bestehender Museen gar nicht zu erwähnen." Die erste, klassizistische Konzeption der Budapester Antikensammlung beruhte also auf der Scheidung der schönen Künste vom Kunstgewerbe. Dies hat sich auch im ungarischen Namen des Museums erhalten, das wortwörtlich "Museum der Schönen Künste" heißt. Bezeichnenderweise wurde einer der größten Schätze der heutigen Antikensammlung, die Grimani-Kanne, im Jahr 1899, also zur Zeit der Herausbildung der Sammlungen des Museums der Bildenden Künste, im Kunstgewerbemuseum verzeichnet. Man wollte von den Gattungen der schönen Künste, von der Geschichte der europäischen Architektur, der Bildhauerei und der Malerei ein umfassendes Bild bieten, wobei letztere durch Originale, die ersteren hauptsächlich durch Kopien von Hauptwerken veranschaulicht werden sollte. Wir haben gesehen, welch großen Nachdruck die antike Skulptur in dem als Kulttempel der Kunst angelegten Gebäude erhielt, und zwar nach den Proportionen des klassizistischen Kanons. Das klassische Beispiel für diese Konzeption ist sicherlich das Stülersche Neue Museum in Berlin, ebenfalls mit Gipsabgüssen der antiken Kunst, dessen Entwurf jedoch aus dem Jahr 1840 stammt, das aber das Gebäude für die Originale nur ergänzen sollte. Die Antikensammlung des an der Wende des 19. und 20. Jahrhunderts errichteten Budapester Museums folgte also eigenartigerweise einem etwa ein halbes Jahrhundert älteren Vorbild. Es war jedoch gewiß kein Zufall, daß im damaligen Ungarn gerade diese Konzeption angenommen wurde. Statt der ungelösten und vielleicht auch unlösbaren politischen Probleme der Zeit, die am Ende des Ersten Weltkriegs zur Explosion führten, stand im Ungarn der Jahrhundertwende die mythisch aufgefaßte Geschichte im Mittelpunkt des Weltbildes. Nach einer treffenden Formulierung wurden "einerseits die aktuellen gesellschaftlichen und politischen Probleme durch Beispiele aus der Geschichte zum Ausdruck gebracht, andererseits wurden aber die als Beispiele dienenden historischen Ereignisse aus ihrem wahren Kontext herausgerissen und den politischen Aktualitäten angepaßt." Diese historisierende Auffassung konnte leicht den Weg zum klassizistischen Kanon der Antike finden. Die Kopien der nach diesem Kanon bestimmten Hauptwerke erwiesen sich als leichter rezipierbar als die nach diesem Kanon zwangsläufig minderwertigeren Originale, die auch alternative Interpretationen ermöglichten und deren Bruchstückhaftigkeit für diese Auffassung "kein anregendes Mysterium darstellen, wie sie von einigen modernen Bildhauern verstanden werden, sondern traurige Zeichen der Vernichtung sind." Diese Konzeption schloß aber keinesfalls den Erwerb von Originalstücken aus, und es sollte sich bald herausstellen, daß dies nicht nur eine theoretische Möglichkeit war. Das Museum wurde am 1. Dezember 1906 von Kaiser und König Franz Joseph eingeweiht, und im Jahr 1908 haben sich der Institution, die allmählich ihre internationalen Beziehungen ausbaute, neue Perspektiven eröffnet.
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Paul Arndt (1865 - 1937; aus R. Lullies - W. Schiering, Hrsg., Archäologenbildnisse, 1988, 158)
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Im März schlug ein in Teheran arbeitender deutscher Ingenieur dem Museum Zusammenarbeit vor. Er bot sich an, die Objekte, die bei Ausgrabungen im Bereich von Raga an der Seidenstraße zum Vorschein kommen würden, für Budapest zu erwerben. Das Anerbieten weckte "lebhaftes Interesse", nachdem es sich aber herausgestellt hatte, daß bei Raga vor allem Keramik- und Bronzefunde zu erwarten waren, trat das Museum, "welches Kunstgegenstände aus dem Bereiche der Bildenden Künste sammelt", vom Plan zurück. Einige Monate später machte ein italienischer Kunsthändler das erste Angebot bezüglich einer antiken Skulptur. Direktor Kammerer antwortete umgehend, aber die ersten beiden Briefe hatten keine Fortsetzung (die Statue ist auch seitdem verschollen). Das Museum versuchte also den Weg einzuschlagen, der nach dem Münchner Archäologen und Kunsthändler Paul Arndt, der Hauptperson der folgenden Periode, die weitere natürliche Entwicklung der Antikensammlungen werden sollte: "Die Schaffung eines ... Gipsmuseums ist das Erste... Ist sie erreicht, dann sind die Ansprüche zu steigern. Wir wollen nicht bloss Abgüsse, wir wollen auch Originale."
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Pars pro toto: die 'Budapester Tänzerin'. 3 Jh. v. Chr. MBK Antikensammlung, Inv. 4759
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Das Ereignis, das die zweite Periode der Sammlung begründete, war im Jahr 1908 der Erwerb der Arndtschen Skulpturensammlung von 135 Stücken. Die Initiative kam von Arndt selbst, der aus persönlichen Gründen seine Sammlung auf jeden Fall verkaufen wollte. Nachdem seine Verhandlungen mit deutschen Museen gescheitert waren, sah er sich nach anderen Möglichkeiten um. Ende Oktober wandte er sich brieflich an den kurz zuvor aus München heimgekehrten ungarischen Archäologen Antal Hekler, eine andere Hauptperson unseres Themas, ob Budapest am Material interessiert wäre. Hekler arbeitete im Ungarischen Nationalmuseum, wußte aber genau, daß einzig das Museum der Bildenden Künste als Käufer in Frage kommen konnte. Deshalb begann er noch am selben Tag, unter vollem Einsatz seiner Autorität, den Kauf zu fördern. Sein hauptsächliches Argument war die Überzeugung, "das Museum der Bildenden Künste könne seiner wahren Berufung nur entsprechen, wenn es sich bemühe, neben den Gipsen aus allen Perioden auch Originalskulpturen zu erwerben". Er wußte auch, daß jedes Stück der Sammlung Arndt wissenschaftlichen Wert besaß, da sie von einem hervorragenden Kenner der antiken Kunst ausgesucht worden waren. Die Entscheidung lag aber bei Direktor Kammerer, der den Kaufpreis bereitstellen mußte. Auch er erkannte die einmalige Möglichkeit und fuhr kaum zwei Wochen nach Erhalt von Arndts Brief nach Deutschland, zunächst nach Dresden, um dort von Georg Treu und Paul Hermann, den besten Forschern der antiken Skulptur, Gutachten einzuholen, und von dort nach München, zu Arndt. Über den Verlauf der Verhandlungen in der ungarischen Botschaft ist nur soviel bekannt, daß Arndt den Kaufpreis herabsetzte, und daß sie wegen einer Detailfrage bezüglich der Gebührenzahlung beinahe gescheitert wären. Am 26. November, insgesamt nur einen Monat nach Eintreffen von Arndts Brief bei Hekler, wurde schließlich der Vertrag, in Anbetracht der Verhältnisse der Bürokratie in Ungarn unglaublich schnell, unterzeichnet. Der Kaufpreis von 75.000 Mark war hoch, aber bei weitem nicht gigantisch (um jene Zeit wendete das Museum für ein Gemälde Goyas 180.000, für eine Zeichnung Picassos 60 Mark auf).
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MBK Antikensammlung, Inv. 4799
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Mit dem Kauf von 1908 wurde also eine günstige Gelegenheit schnell wahrgenommen. Durch die nach der Formulierung Kammerers "für die Entwicklung des Museums als epochal zu bezeichnende ... Erwerbung" kam das Museum in den Besitz einer umfassenden antiken Skulpturensammlung, in der sich zwar nur wenige herausragende Stücke befanden, die aber in ihrer Gesamtheit dazu geeignet war, die Geschichte der antiken Skulptur von der kykladischen bis zur spätantiken Kunst darzustellen. Es muß eigens hervorgehoben werden, daß die Auswahl von einem der besten Kenner der Zeit stammte, dessen Sachverstand in einer der Blütezeiten der Fälschung antiker Skulpturen die bestmögliche Garantie gewährte. Tatsächlich scheint heute von den 135 Stücken nur ein einziges mit Gewißheit nach-antik zu sein. Es handelt sich um den Terrakotta-Niobiden, von dessen Provenienz zur Zeit nur der Eintrag Arndts bekannt ist: "Capua, Advocat Califano". Wie J. Gy. Szilágyi vor kurzem herausfand, versteckt sich hinter diesem Namen ein bekannter Restaurator und Fälscher aus Neapel. L. Curtius hielt das Stück für eines der Hauptschätze der Sammlung, und es galt Jahrzehnte hindurch als ein emblematisches Kunstwerk des Museums. Gerade wegen seiner hervorragenden Bedeutung übernahm 2002 die Stiftung Getty die Restaurierung der Figur. Die Thermoluminiszenz-Analyse in zwei voneinander unabhängigen Laboratorien brachte aber zu unserer großen Überraschung das Ergebnis, daß der Niobide eine moderne Arbeit ist. Bekanntlich beträgt die Lebensdauer der Fälschungen im allgemeinen nur ein- oder zwei Generationen. Der Niobide wurde aber nach einem Jahrhundert nicht vom Kennerauge, sondern von einem naturwissenschaftlichen Verfahren "enttarnt" - eines der vormals herausragenden Meisterwerke der Budapester Antikensammlung bleibt also auch als Fälschung unter den Meisterwerken.
In der Erwerbungsgeschichte des Grundstocks zeichnen sich die "dramaturgischen Rollen" ab, deren Besetzung auch im späteren die unerlässliche Voraussetzung für das Funktionieren der Sammlung war: allen voran der Wissenschaftler mit klarer Konzeption, der Mäzen, der die finanziellen Voraussetzungen bereitstellt (in den meisten Fällen war das der Staat selbst), und schließlich der Beamte, der die Akten nicht hin- und herschiebt, sondern erledigt.
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MBK Antikensammlung, Inv. 3934
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MBK Antikensammlung, Inv. 4054
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Die Akteure der folgenden Jahre gingen aus demselben Kreis hervor, aber die Besetzung der Rollen ist überraschend. Die Rolle des sachverständigen Wissenschaftlers wurde vor allem von Arndt besetzt, der zugleich der wichtigste Verkäufer und Agent der Antikensammlung war. Die Abwicklung des Erwerbs und die Bereitstellung des Geldes hing vom Eifer des Museumsdirektors Kammerer ab. Für die Skulpturen war aber kein Archäologe, sondern ein Kunsthistoriker, József Wollanka zuständig, der die Sammlung kaum zu pflegen wußte. Arndt jedoch, dessen Zusammenarbeit mit C. Jacobsen um diese Zeit gescheitert war, wollte mit Budapest offensichtlich ein Verhältnis auf dem Niveau von Kopenhagen ausbauen und versuchte das Museum begeistert zum Ausbau einer Antikensammlung zu überreden (meines Wissens war er es, der diesen Ausdruck im Kontext des Budapester Museums zum erstenmal gebrauchte). Kaum eine Woche nach Unterzeichnung des Vertrags traf das Kaufangebot eines französischen Kunsthändlers mit der Bemerkung ein: "M. le dr. Arndt croit que c'est le pendant exact et plus beau d'un des marbres de sa collection et que pour cette raison il pourra vous intéresser" - es handelte sich um den sogenannten Peplosfigur Curtius, heute in Frankfurt, der von Arndt (wie von jedem, bis zum Aufsatz von Curtius im Jahr 1924) für ein griechisches Original gehalten wurde. Ebenfalls Arndt erwarb mit der nachträglichen (!) Zustimmung des Museums einen Niobidenkopf aus Terrakotta. Eine Briefstelle kennzeichnet die Verhältnisse: "gestern ist ... das Kopffragment gekommen, das zu meinem grossen Terracotta Niobide gehört und aus demselben Giebel stammt. Ich habe es Ihnen heute zusenden lassen. Es ist scheusslich und zerstört, Sie müssen es aber, aus archaeologischen Gründen, natürlich kaufen." Arndt, der bei weitem beste Kenner der Budapester Antikensammlung, empfahl also dem Museum nach wissenschaftlichen Gesichtspunkten ausgesuchte Stücke (zuweilen nicht aus seinem eigenen Besitz) zur Erweiterung des Bestands, und der Beamte Kammerer fällte nach eigenem Ermessen und nach den Möglichkeiten der Institution seine meist positiven Entscheidungen. In den Jahren 1910/11 erwarb das Museum weitere elf Marmorskulpturen, darunter wichtige Werke wie die Isis Pelageia oder den Euripides. In diesen beiden Jahren wurde beinahe so viel für antike Marmorwerke aufgewendet wie 1908, und ein Teil davon (ein untrügliches Zeichen für die Beachtung durch die Regierung) aus einem Sonderfonds des Ministers. Nach dem Erwerb des Grundstocks gelang es also, einen weiteren Schritt zu tun und die antike Skulpturensammlung um bedeutende Stücke zu bereichern. Die oben geschilderte Rollenverteilung war aber nur für eine kurze Zeit funktionsfähig, sie stellte sich bald als ungeeignet heraus. Wollanka wollte nämlich von der ursprünglichen Konzeption nicht abweichen: Er kaufte Abgüsse und beteiligte sich an der Abwicklung der Käufe der von Arndt empfohlenen Originale, getraute sich aber - gewiß mangels Kompetenz - über diesen Kreis nicht hinaus.
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'Peplosfigur Curtius'. Frühes 1. Jh. n. Chr. Frankfurt, Liebighaus Inv. 383 (aus P. C. Bol, Bildwerke aus Stein und aus Stuck, 1983, 51)
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MBK Antikensammlung, Inv. 4028
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Unterteil einer schreitenden Frauenfigur. 450-425 v. Chr. MBK Antikensammlung, Inv. 4721
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Bronzestatuette eines Herrschers. New York, Metropolitan Museum Inv. 55.11.11 (aus Antiquités Égyptiennes Grecques et Romaines, 1912, Taf. 69)
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Attische Oinochoe. Um 730 v. Chr. Paris, Louvre Inv. CA 2509 (aus Antiquités Égyptiennes Grecques et Romaines, 1912, Taf. 2)
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Dabei beherzigte Kammerer, der zuvor von Terrakotten nichts hören wollte, im Jahr 1912 bereits die Warnung Arndts, der ihm seine eigene Sammlung an Kleinplastik mit den Worten anbot: "Bedenken Sie, dass Pest eine solche Sammlung haben muss; denn bisher bekommt man meines Wissens in Pest keine Vorstellung, wie eine Tanagrafigur aussieht." Kammerer stellte die Mittel für den Erwerb der Sammlung bereit und schickte Wollanka nach München. Dieser sah sich die Kollektion dreimal an - und brachte Kammerer vom Kauf ab. Sein Argument schien unanfechtbar zu sein: das künstlerische Niveau der Sammlung sei den geforderten Kaufpreis nicht wert. Dies könnte auch die Stimme des verantwortungsbewußten Fachmanns sein - wenn sie nicht die Unfähigkeit getarnt hätte. Wollanka wich nämlich unter dem hochmütigen Vorwand "wir kaufen nur Hervorragendes" sämtlichen, ihm angetragenen Kaufmöglichkeiten aus. Er fand weder die Bronzen der Arndt-Kollektion, noch die Stücke der Sammlungen Lambros und Dattari gut genug (obwohl das Geld dafür bereitstand), noch die Vasen der Sammlung Preyss oder die Angebote Hartwigs... Dieses Fachmann-Problem hatte auch eine weitere, in ihrer Nachwirkung noch schwierigere Seite. Die Erweiterung der Sammlung konnte im Besitz der finanziellen Mittel wohl auch "von außen her", und zwar durch einen gewissenhaften Beamten (den Museumsdirektor) und einen im Ausland tätigen Archäologen mit Konzeption getätigt werden. Darüber reichten aber ihre Möglichkeiten nicht hinaus: Mit der Antikensammlung war keine wissenschaftliche Arbeit verbunden. Die wichtigste Leistung (sit venia verbo) der Zeit, Wollankas Skulpturenkatalog, der, im wesentlichen aus den Aufzeichnungen Arndts zusammengestellt, die Sammlung Arndt vorstellte (die zuvor von Pulszky erworbenen Stücke also nicht berücksichtigte), wurde von Hekler einer vernichtenden Kritik unterzogen.
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Pars pro toto: Attisches Figuralgefäß: Pygmäe und Kranich. Werkstatt des Sotades-Malers. Um 450/440 v. Chr. (aus M. Boss et al., Antikensammlung Erlangen, 2002, 78)
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Pars pro toto: Böotischer Skyphos. Um 430 v. Chr. (aus M. Boss et al., Antikensammlung Erlangen, 2002, 80)
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Zusammenfassend kann also behauptet werden: Dem Kauf von 1908 folgte zunächst eine schwungvolle Fortsetzung, dann - in erster Linie mangels Kompetenz und klarer Konzeption - ein Stillstand. Der Aufschwung trat dann mit der Anstellung eines kompetenten Forschers ein.
Antal Hekler kam im März 1914 an die Sammlung antiker Plastik. Er war der Begründer der klassischen Archäologie in Ungarn im modernen Sinn. Im Jahr 1904 hatte sich der eben promovierte Doktor iuris, geleitet von persönlichem Interesse, an der Universität München immatrikulieren lassen, um dort bei Furtwängler zu studieren. Bereits 1905 veröffentlichte er seine erste Studie zur antiken Skulptur - sein Aufsatz über Alkamenes kann als Auftakt der klassischen Archäologie in Ungarn gelten -, und nach insgesamt zwei Studienjahren erwarb er als einer der vier Lieblingsstudenten des Professors sein zweites Doktorat und kehrte nach Ungarn heim. Seine Porträt-Aufsätze und sein Buch über die römischen weiblichen Gewandstatuen enthalten bis heute gültige Ergebnisse. Durch seine Forschungen ist in Ungarn plötzlich das höchste wissenschaftliche Niveau erschienen. Seine Tätigkeit bedeutete keine Fortsetzung der des Pulszky-Kreises, sie entfaltete sich völlig unabhängig davon. Die zweite Generation der klassischen Archäologie in Ungarn trat also nicht als organische Weiterführung der ersten auf, sondern plötzlich, ohne Voraussetzungen. Wie wir noch sehen werden, geschah dies genauso mit der dritten Generation. Das ist also ein Grundzug der klassischen Archäologie in Ungarn.
Wie bereits erwähnt, hatte er bereits beim Kauf der Sammlung Arndt eine wichtige Rolle gespielt, aber zu jener Zeit arbeitete er im Ungarischen Nationalmuseum, und in den darauffolgenden Jahren kommt sein Name im Archivmaterial des Museums der Bildenden Künste nur vereinzelt vor.
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Pars pro toto: Terrakotta Silen auf Maultier. Um 480 v. Chr. MBK Antikensammlung, Inv. T 38
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MBK Antikensammlung, Inv. 5668
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Kaum einen Monat nach seiner Berufung an die Skulpturensammlung fuhr Hekler nach München und Paris, "um antike Plastiken zu besichtigen und eventuell zu kaufen". Im Ergebnis dieser Reise erwarb das Museum Arndts zuvor zurückgewiesene Terrakottensammlung von 650 Stücken und den spätklassischen Torso aus der Nekropole des attischen Velanideza. Dieser Kauf zeigt die Konzeption Heklers genau an. Auch er verblieb innerhalb des Bereichs der Plastik, bereicherte aber die Sammlung durch die Terrakotten um neue Forschungsmöglichkeiten - dabei gelang es ihm, ein Ensemble zu erwerben, das von der Geschichte der Gattung ein umfassendes Bild von der mykenischen Periode bis zur römischen Kaiserzeit bietet. Ein weiteres Moment ist aber keineswegs weniger wichtig. Nach der oben geschilderten Periode des "Wir kaufen nur Hervorragendes" vermochte Hekler tatsächlich eine hervorragende Statue zu erweben. Es war ihm klar, daß das Museum nach der Schaffung der Grundlagen im Jahr 1908 nun seine Möglichkeiten auf bedeutende Kunstwerke konzentrieren mußte. Obwohl am 1. August 1914 der Erste Weltkrieg ausgebrochen war, kam es 1916 zu drei großzügigen Versuchen. Dem ersten war Erfolg beschieden: Durch die Vermittlung von L. Pollak kamen zwei herausragende Stücke der Porträtgalerie, der Hermarchos und eine großartige Büste (der sog. Pittakos) nach Budapest. Die zweite Initiative richtete sich auf den Erwerb der Marmorsammlung des Diplomaten Adolf Zsolnay, damals Konsul der Monarchie in Kavala, deren Stücke auf Thasos zum Vorschein gekommen waren. Hekler konnte erreichen, daß die besten 29 Stücke der Sammlung als Leihgabe in das Museum kamen, und aus den Dokumenten geht eindeutig hervor, daß dies nur als erster Schritt zu ihrem Erwerb gemeint war. Nach dem Zusammenbruch der Monarchie bat aber Zsolnay die Werke zurück und ließ dafür nur ein inzwischen erworbenes stadtrömisches Relief als Geschenk zurück. Seine Sammlung wurde später in alle Winde zerstreut, das schönste Stück, einen archaischen Kopf, hat vor einigen Jahren B. Holtzmann mit einem Sphinx-Torso aus Thasos verbunden. Auch der dritte Versuch hat emblematische Bedeutung: Es ging um ein Hauptwerk der archaischen griechischen Skulptur, die Göttin aus Tarent. Die ungarische Etappe des Kampfes um den Erwerb der Statue war früher nur aus der mündlichen Tradition der Budapester Antikensammmlung und einem zeitgenössischen Zeitungsartikel bekannt. Vor kurzem ergab sich für mich, gerade im Rahmen dieses Forschungsprogramms, die Möglichkeit, das Archiv P. Arndt in der dem Institut für Klassische Archäologie, Erlangen {www.phil.uni-erlangen.de} zu studieren, sodaß sich die Geschichte nun genauer rekonstruieren läßt. Dieser Abschnitt spielte sich zwischen dem Oktober 1915 und dem Januar 1916 ab. Hekler wußte, worum es ging: "Allein nichts soll versäumt werden, um den braven Kairos heranzulocken." - schrieb er an Arndt.
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MBK Antikensammlung, Inv. 5000
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MBK Antikensammlung, Inv. 5030
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Der Kopf Wix. 570-560 v. Chr. Kopenhagen, Ny Carlsberg Glyptothek Inv. 2787 (aus H. Sitte, JÖAI 11, 1908, Taf. 1-2)
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Der Kopf Wix. 570-560 v. Chr. Kopenhagen, Ny Carlsberg Glyptothek Inv. 2787 (aus H. Sitte, JÖAI 11, 1908, Taf. 1-2)
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(Torso: Thasos, Museum Inv. 3807; aus B. Holtzmann, RA 1992, 191)
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Um 461 v. Chr. Berlin, Staatliche Museen Inv. SK 1761 (aus I Greci in Occidente, 395)
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Durch ihre Anstrengungen und Regierungsbeziehungen konnten sie das beinahe Unmögliche erreichen: Die ungarische Regierung hat im dritten Kriegsjahr den Kaufpreis von einer Million Mark aufgetrieben, allerdings ist sie dann im Zeichen der Staatsraison zugunsten des Berliner Museums, das die persönlich Unterstützung Kaiser Wilhelms genoß, zurückgetreten.
Ebenfalls in der Hekler-Ära wurde der ernsthafteste Versuch zum Ausbau der beiden weiteren Pfeiler der damaligen Großarchäologie unternommen, zur Ermöglichung ungarischer Ausgrabungen und zur Aufstellung eines wissenschaftlichen Instituts im Mittelmeerraum. Ein Jahrzehnt zuvor, zwischen 1902 und 1905, hatte es bereits eine großzügige Initiative gegeben. Der Schauplatz war damals Griechenland. Dörpfeld und Kavvadias, der damalige Leiter der griechischen Archäologie, haben die Angelegenheit angeblich kräftig unterstützt, sogar das Budget des Instituts wurde erstellt. In der letzten Etappe der Vorbereitungen ist aber die ungarische Regierung gestürzt, und ihre Nachfolgerin mit nationaler Rhetorik schätzte die Lage anders ein: "wir haben hier, zu Hause, noch so viel zu tun, daß wir uns auf derartige Unternehmen nicht einlassen können". Als Fortsetzung dieser Anstrengungen erarbeitete Hekler 1914, diesmal auf Ansuchen der Regierung (!), die Pläne zu einer ungarischen Ausgrabung in Kleinasien. "Wir müssen als ein kleineres und ärmeres Volk unsere Aufmerksamkeit dahin lenken, wo durch die Erschließung einer ganzen antiken Stadt aus kulturgeschichtlichem Gesichtspunkt ein abgerundetes Ergebnis zu erhoffen ist," wo sich auch die Möglichkeit zur Erforschung der christlichen und türkischen "Denkmäler des Mittelalters" ergibt. Der vorgesehene Schauplatz war Kilikia (Olba). Parallel dazu nahm das frisch gegründete Ungarische Wissenschaftliche Institut in Konstantinopel seine Tätigkeit auf, das unter Beibehaltung seiner Stelle am Museum von Hekler geleitet wurde. Eines der Hauptziele des Instituts richtete sich auf die Heranbildung des wissenschaftlichen Nachwuchses. Wie es aber aus den - ebenfalls im Rahmen des Getty-Programms - erschlossenen Briefen Heklers hervorging, hatte er auch eine andere, unter diplomatische Verschwiegenheitspflicht fallende Aufgabe, eben die Organisation der ungarischen Ausgrabung.
Im Jahr 1918 ist die Monarchie zusammengebrochen. Das Institut in Konstantinopel wurde aufgegeben, die Pläne der Ausgrabungen in Kleinasien wurden endgültig ad acta gelegt. Im selben Jahr trat Hekler an die Universität über, und obwohl er zuweilen noch dem Museum half, nahm seine Laufbahn einen ganz anderen Verlauf: Der Schwerpunkt seines Interessengebietes verlagerte sich immer mehr auf die europäische Kunstgeschichte.
Aus der obigen Übersicht zeichnet sich das hauptsächliche Merkmal der Periode zwischen 1908 und 1918 ab: Arndts und Heklers, aus der Begeisterung für die antike Skulptur gespeister, unermüdlicher Einsatz und ihr Fachwissen auf dem einzig akzeptierbaren, also internationalen Niveau, bedeuteten die einzige Kraft, die das damals vorhandene Wohlwollen der Kulturregierung auf eine schöpferische Weise zu nutzen verstand. Zu Zeiten, wo es an dieser Kraft fehlte, "cessavit ars". Alles hing davon ab, ob es wenigstens einen einzigen, wissenschaftlich hochgerüsteten Mann gab.
Die Geschichte wankte auch im weiteren zwischen diesen beiden Extremen, so daß es genügt, das Weitere nur kurz zusammenzufassen.
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MBK Antikensammlung, Inv. 6259
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Das folgende Vierteljahrhundert, die vierte Periode der Geschichte der Sammlung, verlief im Zeichen der "quieta non movere". Die klassische Archäologie in Ungarn fiel einige Jahre nach ihrer Entstehung und ihrem raschen Erblühen auf ein niedriges Niveau zurück. Es fehlte ihr auch an materiellen Möglichkeiten, denn aus der Großmacht ist inzwischen ein osteuropäischer Kleinstaat geworden. Das für die vorangegangenen Jahrzehnte bezeichnende Wohlwollen der Regierung war dahin, denn diese Periode war von der Revision des Friedens nach dem Ersten Weltkrieg, der Aufteilung Ungarns, gekennzeichnet. Auch die Altertumsforschung wurde von der "magyarcélú ókortudomány" (eine rein politisch-patriotisch motivierte Auffassung von Altertumswissenschaft) geprägt, wenn wir von der wirkungsreichsten Persönlichkeit des Fachs, Karl Kerényi und seinem Kreis absehen. Meines Wissens hatte aber auch Kerényi keine Beziehungen zur Sammlung Antiker Skulptur, die ab 1935 als selbständige Abteilung des Museums wirkte. Es ist bezeichnend für die Lage, daß das Museum in dieser Periode insgesamt nur um zwei bedeutende antike Stücke bereichert wurde. Die Erwerbung des einen, eines dreifigurigen attischen Grabreliefs, war ebenfalls Arndt (das war seine letzte Aktion für Budapest) und Hekler zu verdanken, und die Abwicklung der Angelegenheit, die sich vier Jahre lang hinzog, war wieder nicht das Verdienst des Verantwortlichen für die Sammlung, sondern das des Museumsdirektors. Das andere war ein Philosophenporträt, das - diese Stimme erklingt äußerst selten in der Geschichte der Budapester Antikensamlung - von reichen Kunstsammlern für das Museum erworben wurde. Außerdem bestand noch eine dritte Möglichkeit, der Erwerb der Kore von Keratea, das Geld dafür konnte aber nicht mehr herbeigeschafft werden.
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MBK Antikensammlung, Inv. 6923
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Um 570-560 v. Chr. Berlin, Staatliche Museen, Inv. SK 1800 (aus K. Karakasi, Archaische Koren, 234)
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Dabei wurde 1934 gesetzlich festgelegt, daß die archäologischen Objekte, die außerhalb von Ungarn zum Vorschein gekommen waren, zum Sammelbereich des Museums der Bildenden Künste gehören. Im Prinzip bestand also die Möglichkeit, die Sammlung antiker Plastik zu einer wahren Antikensammlung auszubauen, aber es fand sich niemand, der dies durchgeführt hätte.
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Herakles. Schale des Andokides-Malers (Detail). Um 520 v. Chr. MBK Antikensammlung, Inv. 51.28
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Die neue Periode begann nach dem Zweiten Weltkrieg. Im Vorspiel dazu übergab das Ungarische Nationalmuseum 1943 wegen Kriegsgefahr den Großteil der Objekte aus Fundorten außerhalb Ungarns dem Museum der Bildenden Künste. Die Kisten wurden in einem Ausstellungsraum aufgehäuft, wo sie, ein wahres Wunder, die Belagerung von Budapest unversehrt überdauerten und friedlich auf ihre Öffnung warteten. Diese erfolgte erst 1947, als der klassische Philologe J. Gy. Szilágyi im Museum der Bildenden Künste eine Arbeitsstelle fand. Er machte sich daran, den Inhalt der Kisten, Vasen, Terrakotten, Gemmen und Helme zu inventarisieren. Darüber hinaus wurden (aufgrund des erwähnten Gesetzes) der Reihe nach auch die antiken Objekte aus verschiedenen regionalen Museen eingesammelt. Dies mag fürs erste wie eine im Osten damals übliche Verstaatlichung erscheinen, aber in Wirklichkeit handelte es sich um die Verwirklichung eines humanistischen Programms. Ausgeführt wurde dies von Kerényi-Schülern, für die nicht die antike Skulptur, und noch weniger die Gipsabgüsse grundlegend waren, sondern - im Geiste ihres Meisters - die gegenständliche Hinterlassenschaft der gesamten antiken Welt. Sie meinten, die Bodenfunde aus Cumae, die Grimani-Kanne, die Vasen von Exekias, dem Andokidesmaler oder dem Micalimaler seien nicht zu trennen vom Torso aus Velanideza, von der Budapester Tänzerin oder vom Actium-Relief. Der Niedergang des dem Land aufgezwungenen Eisernen Vorhangs fiel mit dem Abschluß des hier gezeigten Entwicklungsprozesses zusammen: Die vormals zerstreuten Denkmäler der antiken Kunst wurden (abgesehen von verschwindend geringen Ausnahmen) in einer einzigen Sammlung vereint. Darüber hinaus wurde auch die klassische Archäologie in Ungarn neu begründet - wieder als aristeia eines einzigen Mannes, J. Gy. Szilágyi. Da sich aber das Studium der antiken Kunst zur Zeit des realen Sozialismus in Ungarn als politisch völlig indifferent erwies, war die Möglichkeit zur Entfaltung einer wissenschaftlichen Leistung gegeben, über deren bisherigen Gipfelpunkt, die Monographie über die etrusko-korinthische Vasenmalerei, einer ihrer Würdiger behauptete, sie gehöre in den Bibliotheken neben die Werke von Beazley.
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MBK Antikensammlung, Inv. 2000.24.A
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Nun zum Epilog der Geschichte: Im letzten Jahrzehnt gelang es, den Horizont der Sammlung mit bescheidenen Mitteln, systematisch, wenn auch nur mit einigen Stücken, wesentlich über die Grenzen der klassischen griechisch-römischen Welt hinaus zu erweitern. Nach Füllung einiger schwerwiegender Lücken der griechischen Kunst und dem Erwerb eines der Actium-Reliefs, das bereits in Montfaucons Werk von 1717 veröffentlicht wurde, sind wir nun in der Lage, auch die iberische, phönizische, die südarabische, phrygische und parthische Kunst in Budapest vorzustellen, und viel besser als zuvor auch die koptische und die palmyrenische. Sah man die Aufgabe der Antikensammlung ein Jahrhundert zuvor darin, den klassizistischen Kanon der griechischen Kunst in Gipsabgüssen vorzuführen, so sehen wir sie heute darin, die antike Tradition im weitesten Sinne zu vergegenwärtigen, wiewohl oligon te philon te, dem Besucher zur freien Wahl. So verwirklicht sich nach heutiger Interpretation all das, was der erste Begründer der Sammlung, Ferenc Pulszky 1852 als Aufgabe des Britischen Museums und überhaupt jedes Museums so formuliert hat: "In a museum arranged according to the wants and researches of our age, the works of art of all civilized nations should be placed in chronological order. ... all these monuments ... would give us a faithful picture of the development of the artistic imagination of mankind. It would be an incarnation of the Spirit of History. Such a collection would be the most convincing proof of the affinity of all civilized peoples, of the unity of mankind."
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MBK Antikensammlung, Inv. 2003.3.A
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MBK Antikensammlung, Inv. 2002.2.A
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MBK Antikensammlung, Inv. 93.11.A
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MBK Antikensammlung, Inv. 2004.1.A
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Wie in der Einleitung erwähnt, ist die Budapester Antikensammlung die einzige ihrer Art in Ostmitteleuropa. Es lohnt sich zum Schluß, kurz auf den Versuch der Stiftung einer Prager Antikensammlung hinzuweisen. Das ist mit dem Namen Ludwig Pollak, dem in Prag geborenen großartigen Forscher und Kunstsammler verbunden, dessen Memoiren einstweilen die einzige Quelle zu dieser Geschichte darstellen. Im Jahr 1930 wurde bei Christie's die Sammlung Lansdowne zur Versteigerung angeboten. Man wollte diese zu Ehren von Tomas Masaryk, dem Gründer der Tschechoslowakei erwerben. "Auf dem ganzen Gebiete der cechosl. Republik gab es seither keine nenneswerten Antiken. Diese schmachvolle Lücke der Cultur auszufüllen, bot sich nun diese günstige einmalige Gelegenheit. Das nötige Geld war ... bereit" - schrieb Pollak, der sich damals bereits seit Jahren darum bemühte, eine Antikensammlung ins Leben zu rufen. Man hatte vor, die Sammlung noch vor der Versteigerung geschlossen zu kaufen. Die Fortsetzung gestaltete sich so: "3 Tage vor der Auction sandte er [ein Minister] mir ein Telegramm, dass aus der Sache nichts geworden sei." Und der Schluß: "Woran meine Anregung scheiterte, konnten ich und andere einflussreiche Männer, darunter ein Minister, die gleich mir das Scheitern ungemein bedauerten und Nachforschungen machten, nie erfahren."
Die Budapester Antikensammlung knüpft sich also mit ihrer bloßen Existenz an den - wir wollen ihn so nennen - westlichen Zweig der europäischen Rezeption der antiken Kunst. Andererseits weist sie gewaltige Abweichungen von den in der westlichen Hälfte Europas gültigen Modellen auf. Die üblichen Pfeiler der klassischen Archäologie, wissenschaftliches Institut, Ausgrabungen, kamen nie zustande. Sie hat einen einzigen archimedischen Punkt, die Sammlung selbst, der das Museum der Bildenden Künste den festen institutionellen Rahmen bietet. Dadurch ist ihr die existentielle Grundlage gewährt. Die andere Grundlage ist die wissenschaftliche Forschung. Diese zeigte aber im Laufe ihrer bisherigen Geschichte keine Kontinuität. Die Pflege der Wissenschaft lag immer am Engagement einiger Menschen. Die klassische Archaeologie in Ungarn war wie eine Insel, die jederzeit unbewohnt werden, aber auch unverhofft wieder zu neuem Leben erwachen kann. Die Geschichte der Budapester Antikensammlung ist das treue Spiegelbild der ungarischen Geschichte. Zum einen dadurch, daß ihre Perioden jeweils mit den Schicksalswenden des Landes zusammmenfielen, auch eine vereinzelte Akte kann relativ genau in der ungarischen Kulturgeschichte (aus der Untersicht: in der Geschichte der ungarischen Bürokratie) klassifiziert werden. Von erheblich größerer Bedeutung ist aber ein anderer Wesenszug: Diese historische Determination war keine Fessel, sondern nur der Rahmen für die Tätigkeit all derer, die durch die Gunst oder Ungunst des Schicksals hierher gelenkt/verschlagen wurden. Sie fühlten sich den Umständen nicht ausgeliefert, es lag an ihnen, was sie mit den günstigen oder auch mit den fürchterlichen Umständen anfingen. Eine große Periode der Antikensammlung fiel in die glücklichen Jahre der Monarchie, eine andere in die Jahre des realen Sozialismus. Diese archetypische Lage der Condition humaine ist aus der griechischen Mythologie wohl bekannt. Der Raum, der sich vor den Heroen auftut, wird von den Göttern bestimmt. Das letzte Wort, das Recht der freien Wahl, lag jedoch immer bei den Heroen.
[Deutsche Übersetzung: Harmath Anikó. Ich bedanke mich herzlich bei Stefan Ritter für hilfreiche Kommentare]
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